Spätlese

Leseprobe

Chronik einer merkwürdigen Appendizitis

M e r k w ü r d i g insofern, als es sich für jeden angehenden Chirurgen, und vielleicht auch für so manchen Laien, lohnen dürfte, sich die Entwicklungsstufen dieses Falles zu m e r k e n, um daraus zu lernen.

Es begann am 27. Dezember mit einem „Stein im Bauch“ – nicht wirklich schmerzhaft und nicht genau lokalisierbar. Dazu kam eine komplette Appetitlosigkeit mit allgemeinem Unwohlsein. Irgendwie kannte ich das schon – wenn auch selten genug. Vielleicht war das üppige Raclette am Zweiten Weihnachtstag schuld? Oder eine „Darmgrippe“? Letztere untermauert durch wohlfeile Berichte ähnlich Betroffener.
„Die Sache wird nach zwei bis drei Tagen vorbei sein“, sagte man mir. Länger dürfte sie ohnehin auf keinen Fall dauern, denn das Haus war gerade jetzt übervoll mit Kindern und Enkeln. Aus Amsterdam, New York, Boston und Sydney waren sie angereist. Zum runden Geburtstag meiner Frau am 2. Januar würden es dann einunddreißig Familiengäste sein. Und vier Tage später sollte es mit den drei australischen Enkeln zum Skifahren nach Wolkenstein gehen. Zwei Jahre lang und 18000 Kilometer weit hatten die sich auf diese Skiferien gefreut. Ich auch. Schon deshalb konnte –
d u r f t e – es nichts Ernstes sein.

In der Nacht zum 28. träumte ich von einer „akuten Pankreatitis“ (einer Bauchspeicheldrüsenentzündung) – natürlich nur einer „ödematösen“, also eher harmlosen. Aber immerhin. Ich blieb weitgehend im Bett und versuchte es mit einer Wärmflasche (!). Doch irgendwie wollte ich keine zweite haben ...
An diesem zweiten Abend (28.12.) musste ich die Familie ohne mich in die brillante Mannheimer Tartuffe-Aufführung ziehen lassen. Ich hatte sogar leicht erhöhte Temperatur: 37.8°C.
Am nächsten Morgen (29.12.) weiterhin ein leicht „wunder Bauch“. So, als wenn zehn kleine Enkel auf ihm herumgetobt hätten. Hatten sie ja auch bereits. Bis dann der Großvater darnieder lag und sie ihn sehr vorsichtig behandelten, ihn mit gemalten „Gute Verbeserung“-Briefen eindeckten und sich sogar abwechselnd neben ihn ins Bett legten.
Jetzt erst versuchte der Chirurg, seinen eigenen Bauch abzutasten. Kein Zweifel: Wenn überhaupt, dann war ein Druckschmerz rechts unten zu spüren. Allerdings weit außen am Beckenrand. Doch fühlt sich
so eine Appendicitis an? Konnte ich nicht husten und hüpfen, ohne irgendwelchen Erschütterungsschmerz? War mir übel? Hatte ich erbrochen? Nichts von alledem. Eine Appendicitis war dies nicht – durfte es nicht sein. Der ephemere Verdacht wurde rasch verdrängt.
Am Abend des dritten Tages (29.12.) erreichte die Temperatur mit 38,1°C ihren Höhepunkt, um danach nie wieder 37,5°C zu übersteigen.
Der vierte Tag (30.12.) brach an, ohne Besserung. Zur „Funkstille im Bauch“ kam erst- und einmalig ein Erbrechen. Doch es waren nur zwei Esslöffel voll. Schlimmer, quälender waren kurze Drehschwindelattacken bei jeder Kopfbewegung im Liegen – so wie ich sie seit zwei Jahren nicht mehr gekannt hatte.
Natürlich überlegte ich kurz, ob man nicht einen Kollegen hinzuziehen sollte. Aber alle, die ich kannte, waren vereist, im Einsatz irgendwo in Afrika; der gute Hausarzt im Urlaub – so dachte ich. Und außerdem würden sie nichts finden (es war ja nichts!) – und dann erst recht anfangen zu suchen. Wahrscheinlich in der Klinik. Bei mir würden sie dann besonders gründlich sein. Nein! Bloß keinen Arzt. Jetzt noch nicht.

Es kam der 31. Dezember – Silvester – der fünfte Tag. Ich war gerade mal wieder wie gewohnt aufgestanden, hatte die besondere Geburtstagstorte im Auto vom Konditor geholt und saß nun am Schreibtisch – als die Tür aufging und unser Hausarzt, der gute Dr. Besier, zusammen mit meiner Frau hereinspazierte. Nein, sie hatte ihn nicht gerufen (obgleich sie’s gern getan hätte). Rein zufällig hatte sie ihn auf der Straße getroffen. Beim Einkaufen.
„Prost Neujahr, Frau Trede, wie geht es Ihnen?“
„Gut geht’s uns eigentlich. Nur mein Mann macht uns etwas Sorgen – schon seit vier Tagen. . “
„Ach, da komme ich gleich mal vorbei; hol’ nur schnell noch mein Stethoskop.“
Die Untersuchung war gründlich und so einfach:
Tiefendruckschmerz im rechten Unterbauch; leere Rektumampulle; spärliche Peristaltik; belegte Zunge; drei Kilogramm Gewichtsverlust in ebenso vielen Tagen.
Da half es auch nichts, dass ich dem guten Doktor auf dem Schlafzimmerteppich was „vorhüpfte“.
Die Einweisungsdiagnose lautete: Verdacht auf paralytischen Ileus. Ich fügte mich ohne Widerrede und dann ging alles recht schnell.

Ich rief den Oberarzt Sturm zuhause an. Um 13:30 Uhr holte er mich ab und fuhr mich in die Klinik. Nicht ohne einen letzten Hüpfer auf dem Klinikparkplatz legte ich mich dann auf die Untersuchungscouch in der Ambulanz.
Von diesem Augenblick fiel alles von mir ab. Ich glaube sogar, ich war ein „guter kleiner Patient“: Folgsam, geduldig, voller Vertrauen und ohne die Spur einer Angst. Und das, obgleich jetzt noch einige gespenstische Differentialdiagnosen im Hinterkopf ihr Unwesen trieben, z.B. Mesenterialvenenthrombose, ischämische Dünndarmschlinge, gedeckt perforiertes Coecumkarzinom u.a.m. (Für den Laien wären das Durchblutungsstörungen oder sogar Krebs am Darm).

Die Sturm’sche Untersuchung, einschließlich Ultraschall, traf ins Schwarze: Es war eine retrocoecale Appendicitis (die etwas versteckte Form einer Blinddarmentzündung). Auch wenn die Leukozyten jetzt nur 9000 zählten. Der Operationssaal war längst verständigt, als eine – eigentlich überflüssige – Computertomographie das Geschehen noch durch wunderschöne Bilder verdeutlichte. (Der Chefradiologe – Professor Düber persönlich – legte sie mir am nächsten, dem Neujahrstag, aufs Krankenbett).

Professor Stefan Post, mein Nachfolger, ließ es sich nicht nehmen, die Operation selbst durchzuführen. OA Waschke machte eine wunderbare Narkose (ohne Mozart) – aber unter den Augen seines Chefs, Professor Klaus van Ackern, der vom Schnitt bis zur Naht (achtunddreißig Minuten dauerte das Ganze) daneben stand.

Im Operationsbericht ist nachzulesen, dass der perforierte Wurmfortsatz in einem hühnereigroßen abgekapselten retrocoecalen Abszess lag. Seine noch gut erhaltene Basis eignete sich für eine sichere Versenkung im Blinddarm. Der Eiter wurde abgesaugt und die Wunde ohne Drainage – und übrigens auch ohne sichtbare Hautnaht – verschlossen.

Der postoperative Verlauf war unverdient – angesichts der selbstverschuldeten Verschleppung – komplikationslos. Schon nach einer Stunde strahlten mich alle fünf Kinder (aus drei Erdteilen) und meine Frau vergnügt vom Fußende des Bettes an.
Nach genau achtundvierzig Stunden fuhr man mich nach Hause, wo ich die Darbietungen der Enkel zum Ehrentag der Großmutter erlebte und sogar selber ein reich illustriertes Gedicht einschließlich Gesangseinlagen beisteuern durfte. Danach blieb ich gleich zuhause.

In den ersten paar Tagen machten meine alten Oberärzte Kersting und Saeger, aber auch Stefan Post, täglich eine Telefonvisite. Erstmals spürte ich selber, dass selbst eine Fünf-Zentimeter-Wunde verdammt hinderlich sein kann – bei jeder Drehung im Bett, beim Aufstehen, beim Husten und besonders beim Lachen.

Am siebten postoperativen Tag fuhren wir alle in die Skiferien nach Wolkenstein in Südtirol. Für mich eine sehr bequeme Neun-Stunden-Fahrt in gut geheizten, völlig leeren Eisenbahnabteilen, umsorgt von meiner Frau.
Am 14. postoperativen Tag (eigentlich schon am Nachmittag davor) hielt es mich nicht länger im Chalet:
Der Berg rief – die Wunde schwieg – und der operierte Professor lief mit den australischen Enkeln die Pisten hinab (auch die „schwarzen“) und genoss es wie immer.

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