Der Caminho ist das Ziel

Leseprobe

München – Porto

Es ist 4:45 Uhr morgens und mein Mann bringt mich zum Flughafen München. Endlich soll mein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gehen: Der Jakobsweg. Für mich wird es nur die abgespeckte Version sein, nämlich der Caminho Português. Ich habe mich entschieden, den Weg von Porto bis Santiago de Compostela, eine Strecke von etwas mehr als zweihundert Kilometern, alleine zu gehen. Ich war der festen Meinung, nur so kann ich es schaffen. Aber jetzt, im Morgengrauen vor dem Flughafen, bin ich mir nicht mehr ganz so sicher.

Seit meiner Brustkrebserkrankung bin ich körperlich immer noch nicht so belastbar, von meinen kognitiven Fähigkeiten mal ganz zu schweigen. Der Abschied von meinem Mann wird sehr rührselig. Er drückt mich nochmal ganz fest an sich und ich muss ein paar Tränen im Ärmel meiner Fleecejacke verschwinden lassen. Selbstbewusstsein mimend gehe ich hoch erhobenen Hauptes mit meinem zehn Kilogramm schweren Rucksack durch die Glastür des Terminals. Weniger Gewicht war einfach nicht drin. Ich bin schließlich eine Frau. Dort sehe ich zum Glück schon den Check-in meiner Billigfluglinie. Den Namen des Fluganbieters hatte ich vorher noch nie gehört. Mein Vielfliegersohn Sven verzog skeptisch das Gesicht, als ich ihm davon berichtet habe. „Bei welchem Seelenverkäufer hast du jetzt wieder angeheuert?“, war seine Reaktion. Aber ich will unser Familienbudget nicht durch unnötige Gebühren strapazieren. Und die waren echt die günstigsten. Außerdem startet der Direktflug in der Früh um 6:30 Uhr, wodurch ich einen kompletten Tag zur Verfügung habe, um mir Porto anzusehen. 

Als ich den Schalter für Porto suche, muss ich erkennen, dass die ganze Horde, die hier bereits zwei Stunden vor Abflug ansteht, sowohl nach Sevilla als auch nach Porto will. Die zwei Damen am Check-in kämpfen also gegen das hoffnungslose Unterfangen an, zwei Flieger, die nahezu zeitgleich starten sollen, mit lediglich zwei Schaltern abzufertigen.
Außer mir sind noch einige weitere Passagiere mit Rucksack unterwegs. Vermutlich alles Jakobspilger. Die Rucksäcke machen das Abfertigen auch nicht unbedingt leichter und die Besitzer werden erstmal zum Sperrgutschalter geschickt.
Hinter mir erscheint ein junges Pärchen, ebenfalls mit Rucksack. Sofort kommen wir ins Gespräch. Auch sie wollen den Caminho Português pilgern. Im Gegensatz zu mir wollen sie allerdings heute schon loslaufen. In ihrem Alter war ich auch noch dynamisch.
Ich hingegen habe in einer Pension ein Einzelzimmer reserviert. Noch eine letzte Nacht ein Zimmer und eine Dusche für mich allein. Die nächsten Nächte werden wohl anders aussehen.
Unser Gespräch ist recht kurzweilig und es ist mittlerweile 6 Uhr, aber die Schlange am Schalter ist noch nicht wirklich kürzer geworden. So langsam werden die Passagiere ungeduldig.
In dem Moment erscheint eine resolute Dame in der Uniform der Luftlinie, fischt alle Passagiere nach Sevilla aus der Menge und leitet sie an zwei neu eröffnete Schalter um. Dort richten sich gerade zwei Damen vom Bodenpersonal ein. Und nun geht es ruckzuck. Auch bei uns wird jetzt auf Geschwindigkeit gesetzt. Die Rucksäcke müssen nicht mehr ins Sperrgut, sondern werden nur noch in bereitgestellte Wannen geworfen. Wird schon gut gehen.
Nach dem Check-in werden wir durch die Personenkontrolle gehetzt, denn der Flieger soll in zwanzig Minuten starten. Eigentlich müsste ich noch zur Toilette, aber wir können unmittelbar zum Boarding weiter. Also verkneife ich mir ein dringendes Bedürfnis und stürme mit den anderen den Flieger.


Pünktlich um 6:30 Uhr starten wir. Wer hätte das gedacht? Ich schaue mich wohlwollend um. Ein funkelnagelneuer Flieger und sehr guter Service. So exklusiv bin ich schon lange nicht mehr geflogen.
Nach der pünktlichen Landung warte ich etwas ängstlich auf meinen Rucksack am Förderband, denn ich bin ein gebranntes Kind. Bei meiner letzten Reise in die Türkei musste ich zwei Tage auf meinen verlorengegangenen Koffer warten. Das würde in diesem Fall schon mal eine Verzögerung von mindestens zwei Tagen bedeuten, was mein Zeitmanagement erheblich durcheinanderbringen würde, da ich den Rückflug bereits gebucht habe. Aber heute läuft alles gut und ich erspähe  schon meinen Rucksack. Er hat in der Plastikwanne den Transport unbeschadet überstanden.
Auch die Beschilderung zur Metro ist richtig ausführlich, und am Fahrkartenschalter erwartet mich die nächste Überraschung: Eine junge nordafrikanische Frau in neongelber Warnweste fragt mich, ob sie mich beim Fahrkartenkauf unterstützen darf. Ja, bitte. Mit ihrer Hilfe entscheide ich mich für ein Tagesticket, das mit sieben Euro mein bescheidenes Pilgerbudget nicht zu sehr strapaziert. Außerdem versorgt sie mich sofort mit einem kostenlosen Stadtplan und einem Plan für die Metro. Des Weiteren erklärt sie mir, mit welcher Linie ich am besten zu meiner Unterkunft komme. So ein Service. Da kann sich der Münchner MVV wirklich eine Scheibe von abschneiden, sowohl im Kundendienst wie im Preis. Unsere in München lebenden Söhne erzählen ständig davon, dass sie völlig überforderten Touristen helfen, ein passendes Ticket auszuwählen. In der Metro entscheide ich mich dann, doch zuerst zur Kathedrale zu fahren, denn um 11 Uhr ist dort Pilgermesse.


Neben mir sitzt eine junge Frau, ebenfalls mit großem Rucksack. So kommen wir ganz schnell ins Gespräch. Auch sie läuft den Caminho und hat in der Innenstadt ein Bett in einem Hostel gebucht. Wir beschließen, gemeinsam in die Kathedrale zu gehen, um uns den Pilgersegen abzuholen. Leider steigen wir an der falschen Haltestelle aus und müssen uns anhand des Stadtplans mit den schweren Rucksäcken durch die steilen Straßen Portos schlagen. Langsam rinnt uns der Schweiß von der Stirn. Es ist Juli und mittlerweile schon nach 11 Uhr. Das geht ja gut los.
Als wir schließlich erschöpft und mit Verspätung in der Kathedrale ankommen, sind dort gerade mal zwei Touristen anwesend. Von wegen Pilgermesse. Resigniert lassen wir uns in die Kirchenbänke sinken.
Plötzlich geht ein Lächeln über das Gesicht meiner Mitpilgerin. Wir hatten in unserem Eifer völlig die Stunde Zeitverschiebung übersehen. Tja, kann ja mal passieren...

Veranstaltungen

Sie sind herzlich zu unseren aktuellen Buchvorstellungen und Lesungen eingeladen.

Das eigene Buch

Bei uns erhalten Sie die Möglichkeit, Ihr eigenes Buch herauszubringen.
Wie? - Das erfahren Sie hier.

zur Buchhandlung Waldkirch in Feudenheim

Hier erhalten Sie alle Bücher des Verlags sowie das gesamte Buchhandelsprogramm

Zur Online-Buchhandlung

Über 450.000 Bücher online bei Waldkirch bestellen

Yoga-Zentrum Mannheim

Hatha-Yoga Kurse, Business-Yoga, Betriebl. Gesundheitsvorsorge